Die nördlich von Batumi am Schwarzen Meer gelegene Hafenstadt Poti ist in vielerlei Hinsicht eine wartende Stadt. Die Einwohner Potis warten seit dem Niedergang des Hafens und einer langen Stagnationsphase in den 1990er Jahren darauf, dass die Stadt, die als westlicher Ausgangspunkt der Bahnstrecke Poti-Baku den zweitgrößten Hafen nach Batumi besitzt, ihre frühere Bedeutung zurückerlangt. In der Zeit der Sowjetunion wurden über Poti Metallerze, Erzeugnisse der georgischen Stahlverarbeitung und unter den landwirtschaftlichen Erzeugnissen vor allem Wein exportiert. Ein nachhaltiger Aufschwung würde auch den vielen Binnenflüchtlingen helfen, die seit dem Abchasienkrieg 1992/93 in Poti in verfallenden Wohneinheiten früherer Hafenarbeiter warten.

Von einem ehemals umfangreicheren Tourismus zeugt die verfallende Infrastruktur an den Stränden und in der Stadt. Heute findet man in Poti nur in wenigen Hotels oder Pensionen Unterkunft, die überwiegend von Durchreisenden genutzt werden. In Poti selbst sucht man vergebens nach Orten, die zum Erholen und Entspannen einladen. Flaneure scheint die Stadt schon Jahrzehnte nicht gesehen zu haben, denn nur wenige Spaziergänger schätzen den Charme von Industrie- und Gewerbebrachen, von Wohngebieten, deren Bewohner sich gegen den Verfall zu stemmen scheinen und überdimensionierten Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen, die von einer früher höheren Einwohnerzahl künden. Das einzige Café von Poti trägt den Namen des georgischen Schriftstellers und Politikers Niko Nikoladze, der in der Zeit vor der Oktoberervolution den Eisenbahnbau nach Poti vorantrieb. Junge Musiker spielen dort für wenige Gäste, gemeinsam mit ihnen scheinen sie darauf zu warten entdeckt zu werden.

Mit der Namensgebung verweist das Café Nikoladze nicht nur auf den Mann, der als erster georgischer Intellektueller von Rang in Westeuropa einen Doktortitel erwarb und  zuhause bald als Aufklärer galt, da er auf eine Modernisierung Georgiens hin zu einem liberalen Staat drängte, dessen Politiker sich der sozialen Verantwortung gegenüber den Bürgern verpflichtet sehen sollten. So geriet er bald in Konflikt mit der zaristischen Zensur, allerdings ohne dass sein Ansehen deswegen in Russland schwand. Von 1894 bis 1912 war Nikoladze Bürgermeister von Poti und machte die kleine Hafenstadt zu einem bedeutenden Handelszentrum. Nach der russischen Revolution setzte sich Nikoladze für Georgiens Unabhängigkeit ein und wurde Vertreter der Nationalen Demokratischen Partei Georgiens. In den wenigen Jahren der Georgischen Republik (1918-1921) arbeitet er mit an wichtigen Sozial- und Wirtschafstreformen. Mit der sowjetischen Invasion endete 1921 die Unabhängigkeit und Georgien wurde zur Sozialistischen Sowjetrepublik. Von der Zeit davor künden frühere Gutshäuser, bürgerliche Stadtvillen und Handelshäuser.

Wie ein gestrandeter Wal liegt eines der Wohngebäude aus Holz am Strand, in dem früher die Familien von Angehörigen der Fischereiflotte der Georgischen Sowjetrepublik gelebt hatten. Heute beherbergt es Binnenflüchtlinge aus Abchasien, die bislang vergeblich auf neue Unterkünfte hoffen. Ihre Lebensumstände sind noch weitaus prekärer als die der Bewohner Potis, die in den Plattenbauten für die Werktätigen der Hafenstadt leben.

Das Caucasus-Barometer gab für 2017 an, dass 22% der georgischen Bevölkerung im Laufe eines Monats nicht über genügend Geld verfügte, um für sich und ihre Familie täglich Essen zu kaufen; 30 % der Bevölkerung hätten monatlich zwar genügend Geld für Nahrung, nicht aber für Kleidung. 24 % sind angewiesen auf den Verkauf von aus kleiner Subsistenzlandwirtschaft stammenden Erzeugnissen, nur 40% beziehen mehr oder weniger regelmäßige Löhne. 10% der Bevölkerung gaben an, dass sie 250 USD im Monat benötigten als Untergrenze an Haushaltseinkommen für mehrere Personen, um ein „normales Leben“ führen zu können – 47% der Bevölkerung verfügten aber lediglich über ein Haushaltseinkommen von 50-250 USD; die Renten liegen durchschnittlich bei 50 USD im Monat (vgl. Caucasus Barometer 2017), während 59 % der Bevölkerung auf diese Zahlungen zur Unterstützung des Haushaltseinkommens im Familienverbund angewiesen waren. Seit einigen Jahren wird von einer zunehmenden Verschuldung der Haushalte berichtet, die Geld aufnehmen müssen, um – meist vergeblich – zu versuchen, sich aus der Armutsfalle zu befreien (vgl. Lomsadze 2018).

Wie überall in Georgien künden somit auch in Poti nicht nur die Häuser, sondern auch die Gärten vom ökonomischem Status ihrer Bewohner: Entsprechend dem statistischen Befund über die Armut finden sich Kartoffeln, Kraut, Auberginen, Tomaten, Lauchgewächse und was immer man sich sonst in Deutschland unter Gärten vorstellt, die auf eine ökologische Lebensweise ihrer Bewohner verweisen. Hier wie andernorts in Georgien loben die Menschen, dass all das sauber sei, frei von Pestiziden und anderen Giftstoffen – wer es sich leisten kann, kauft aber hier wie andernsorts in Supermärkten, um damit einem neu errungenen Status Ausdruck zu verleihen. Betrachtet man die Gärten und die Häuser erkennt man leicht: Die meisten sind davon weit entfernt.

Der georgische Staat verkaufte 2008 zunächst 51% des Hafens und weitere Flächen in der Größe von 300 Hektar an das Investmentkonsortium RAKIA aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, 2009 die restlichen Anteile des Hafens an RAKIA. Im Zuge der Finanzkrise in Dubai beschloss RAKIA den Hafen abzustoßen. 2011 erwarb die A.P. Moller-Maersk aus Dänemark 80 Prozent des Hafengeländes von Poti; die großen erwarteten Investitionen, welche die benötigten Arbeitsplätze bringen sollten, blieben bis heute aus. Gleichwohl steigt das Interesse von Investoren aus den Golfstaaten an Immobilien in Georgien ebenso wie in Armenien (vgl. zum Überblick Kucera & Sanamyan 2017).

Die Schwarzmeer-Region stellt bekanntermaßen ein hochlabiles Konfliktfeld im Verhältnis zwischen der NATO und Russland dar, welches seinen Anfang nahm innerhalb der kriegerischen Auseinandersetzungen in und um Georgien seit den 1990er Jahren und als vorläufig letztes Kapitel die Annexion der Krim durch Russland in Folge der Ukraine-Krise nach sich zog. 2017 gab die NATO bekannt, dass sie ihre Präsenz am Schwarzen Meer erhöhen wolle (vgl. Kucera 2017). Georgien bot daraufhin über seinen obersten Heeresführer zur Unterstützung der NATO-Pläne die Hafenstadt Poti für den Aufbau einer dauerhaften Präsenz am Schwarzen Meer an; dies würde auch die Entwicklung einer starken georgischen Marine als regionaler Stabilitätsfaktor unterstützen, um Stärke gegenüber Russland zu zeigen (vgl. Khachatrian 2008 und Ismailzade 2008 für eine armenische und eine aserbeidschanische Perspektive).

Zugleich ist China seit Jahren daran interessiert, sich über Georgien an der Schwarzmeerküste zu etablieren (vgl. zum Überblick Jardine 2018). Da Poti durch andere Investoren belegt ist, bestehen seit 2012 Planungen, das nördlich von Poti, unmittelbar an der Grenze zu Abchasien gelegene Anaklia zum größten Seehafen der Schwarzmeerküste zu machen. Bislang allerdings wartet auch Anaklia. In mehr als Wellenbrecher aus Beton und Eisen wurde noch nicht investiert und die chinesischen Investoren boten bereits zweimal ihre Anteile anderen Konsortien an. Die georgische Politik zeigt sich gleichwohl positiv. Wer immer das Projekt verwirkliche, Georgien werde eine bedeutende Rolle am äußeren Ende eines neuen Seidenstraßengürtels spielen. Damit ist – wie immer – auch die Hoffnung verbunden, durch Einbindung weiterer Spieler Russland auf Abstand zu halten.

Wohin es schließlich gehen mag, abhängig von den Wechselspielen weltpolitischer Unwägbarkeiten (vgl. u. a. für eine iranische Perspektive Zabanova 2017), Poti scheint zunächst Georgiens wartende Stadt am Schwarzen Meer zu bleiben.

Nicht zuletzt deswegen, weil die schlecht entwickelte Infrastruktur im Land alle Investoren zurückhaltend agieren lässt. Solange keine mehrspurigen, auf Schwerlastverkehr ausgelegte Straßen durch das Land nach Poti oder Anaklia führen, lässt sich schwerlich Ware transportieren (vgl. Bradley 2017 zu einem ersten erfolgreichen Projekt zur Verbindung von Tbilissi mit Baku).

Damit wird wohl auch der zentrale Busbahnhof Potis auf dem Gelände einer ehemaligen Tankstelle auf absehbare Zeit nicht erweitert werden müssen.

Text: © Stefan Applis (2018)

Bilder: © Stefan Applis (2017)

Literaturhinweise:

Bradley, J. (2018). With Port Project, Georgia Seeks Place on China’s Belt and Road. Georgian infrastructure remains underdeveloped, which could leave Anaklia disconnected. Eurasianet. Abrufbar unter: https://eurasianet.org/with-port-project-georgia-seeks-place-on-chinas-belt-and-road (19.10.2018)

Bradley, J. (2017). Full Steam Ahead: Long-Awaited Baku-Tbilisi-Kars Railway Opens. Eurasianet. Abrufbar unter: https://eurasianet.org/full-steam-ahead-long-awaited-baku-tbilisi-kars-railway-opens (19.10.2018)

Caucasus Research Resource Centers 2017. Caucasus Barometer. Tbilisi. Verfügbar unter: http://www.crrccenters.org/caucasusbaromet er (letzter Aufruf: 22.10.2018)

Ismailzade, F. (2008). The Georgia-russian conflict: A perspective from Azerbaijan and Implications for the region. Caucasus Analytical Digest 1, 9-10. Abrufbar unter: http://www.laender-analysen.de/cad/pdf/CaucasusAnalyticalDigest01.pdf (19.20.2018)

Kucera, J. (2017). Georgia Offers NATO to Build a Black Sea Base at Poti. Eurasianet. Abrufbar unter: https://eurasianet.org/georgia-offers-nato-build-black-sea-base-poti (19.10.2018)

Khachatrian, H. (2008). On razor’s edge: An Armenian perspective on the Georgian-russian War. Caucasus Analytical Digest 1, 6-8. Abrufbar unter: http://www.laender-analysen.de/cad/pdf/CaucasusAnalyticalDigest01.pdf (19.20.2018)

Kucera, J. & Sanamyan, E. (2017). Will the Great Gulf Game Spill Over Into the Caucasus? Eurasianet. Abrufbar unter: https://eurasianet.org/will-the-great-gulf-game-spill-over-into-the-caucasus (19.10.2018)

Lomsadze, G. (2018): Georgia’s predatory lenders are punishing the poor. Georgian indebtedness has reached crisis proportions. And lenders take scant look at customers’ creditworthiness. Eurasianet (15.8.2018). Abrufbar unter: https://eurasianet.org/s/georgias-predatory-lenders-are-punishing-the-poor (22.10.2018)

Zabanova, Y. (2017). Connecting Iran and the South Caucasus: Competing Visions of the North–South Corridor. Caucaus Analytical Digest 92, 6-10. Abrufbar unter: http://www.laender-analysen.de/cad/pdf/CaucasusAnalyticalDigest92.pdf (19.10.2018)