Georgien hat drei Welterbestätten, die für die weltweite Anerkennung der georgischen Geschichte und seiner Kultur von großer Bedeutung sind. Um alle drei Stätten ranken sich jedoch intensive Konflikte zwischen staatlichen, religiösen und wirtschaftlichen Akteuren und der UNESCO. Diese Konflikte führen dazu, dass 15 weitere Orte und Regionen in Georgien seit mittlerweile dreizehn Jahren auf der Vorschlagsliste stehen, ohne dass es zu weiteren Entwicklungen gekommen ist. Viele Verantwortliche im Welterbekomitee halten Georgien für keinen verlässlichen Partner und sind deswegen zurückhaltend gegenüber weiteren Zuteilungen.
Generell geht es um die Frage, wie das bauliche und landschaftliche Erbe in das Leben in Georgien eingebunden wird. Hierzu, meinen vielen vor Ort, muss es angepasst werden an die Erwartungen der Menschen. Denn diese müssen in ihm und von ihm leben (vgl. Stadelbauer 2018, S. 77). Die UNESCO hingegen setzt vor allem auf die Erhaltung der Authentizität des jeweiligen Bauwerks und verlangt einen Managementplan, der nicht nur das Objekt selbst, sondern auch den es umgebenden Raum berücksichtigt. Diese Forderung ist in der Regel mit starken Nutzungseinschränkungen für die Welterbestätte verbunden.
Die UNESCO bringt ihre ernste Besorgnis über irreversible Eingriffe des Vertragsstaats im Rahmen der Vorbereitungen für das Wiederaufbauprojekt der Kathedrale von Bagrati vor jeder Überprüfung oder Genehmigung des Projekts und seine Auswirkungen auf den außergewöhnlichen universellen Wert, die Unversehrtheit und die Echtheit des Gutes zum Ausdruck […] [und] fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, unverzüglich alle Eingriffe an der Kathedrale von Bagrati einzustellen, die den außergewöhnlichen universellen Wert, die Unversehrtheit und die Echtheit des Gutes gefährden
UNESCO 2012, S. 131
Im Falle der Bagrati-Kathedrale führten diese Konflikte dazu, dass bauliche Veränderungen an dem für Georgien wichtigen Kirchenbau, der seit 1994 zum Welterbe-Komplex Bagrati-Gelati gehört hatte, 2010 zusammen mit dem Gelati-Kloster auf die Liste der gefährdeten Weltkultur gesetzt wurde. Nach langen Verhandlungen einigte man sich darauf, dass das Gelati-Kloster als Welterbestätte seit 2017 auf der UNESCO-Liste verbleiben durfte, während die Bagrati-Kathedrale von der Liste genommen wurde.
Die Fassade der Kathedrale ist mit verschiedenen plastischen Zierelementen wie Menschenköpfen, Darstellungen von Fabelwesen und anderen Tiermotiven verziert; die Zeichnung zeigt eine Rekonstruktion des Erscheinungsbildes des Gebäudes ohne die Portalvorbauten aus dem frühen 11. Jahrhundert.
Die Kathedrale war Anfang des 11. Jahrhunderts von Bagrat III (König von Georgien in den Jahren 1008 – 1114) gestiftet worden. Der Kirchenbau wurde 1691 durch osmanische Truppen und 1770 durch Truppen des zaristischen Russlands stark beschädigt. In der Zeit der Sowjetunion wurde in sechs Phasen konserviert, aber nie vollständig wiederaufgebaut. Im Jahr 2001, ein Jahr vor dem Konkordat von 2002, wurde die Bagrati-Kathedrale an die Georgische Kirche übergeben. Erst in der Regierungszeit von Mikheil Saakashvili (2004 – 2013) allerdings wurde der Wiederaufbau von Kirchenbauten massiv vorangetrieben. Von 2008 forcierte er massiv den Wiederaufbau der Bagrati-Kathedrale, die er als Symbol für die Einheit Georgiens bezeichnete.





Verschiedene Phasen des Wiederaufbaus und der Konservierung: Westfassade nach der Restaurierung in den 1980er Jahren, Südfassade nach der Teilrestaurierung in den 1980er Jahren, Ansicht der Kathedrale von Bagrati zur Zeit der Zuerkennung des Weltkulturerbe-Status im Jahr 1994; Rekonstruktion des Zustandes Anfang des 11. Jahrhunderts
Der georgische Präsident verfolgte hierbei eindeutig politische Zwecke. Die Bauarbeiten wurden trotz der UNESCO-Intervention im Jahr 2010 vorangetrieben. Zwei Wochen vor der Parlamentswahl in Georgien, am 16. September 2012 fand der Einweihungsgottesdienst durch den Patriarchen der Georgisch-orthodoxen Kirche in Anwesenheit von Mikheil Saakashvili statt (vgl. Stadelbauer 2018, S. 53). Die UNESCO erklärte schließlich, dass das Bauwerk irreversibel zerstört worden sei durch die Verwendung moderner Baumaterialien und neuzeitliche Bautechniken. Vor allem wurde der Einsatz von Stahlbeton in der Hauptkuppel und das Überecken alten Steinmaterials durch neue Steinblöcke kritisiert.

Nichtsdestotrotz ist die Bagrati-Kathedrale von großer Bedeutung für die Bevölkerung. Kaum ein Tag vergeht in Kutaisi, an dem nicht geheiratet wird und die Bagrati-Kathedral zumindest als Fotomotiv in die Hochzeitsfeierlichkeiten einbezogen wird.





Grundsätzlich tritt die orthodoxe Kirche als bewahrende Kraft auf gegenüber alten kirchlichen Bauten. Allerdings machen deren Führer unumstößlich deutlich, dass es sich hierbei um kirchliches kulturelles Erbe handelt und das letztlich die Kirche entscheiden wird, wie damit umgegangen wird. Bislang konnte sie sich dabei des Rückhalts in der georgischen Gesellschaft versichern, weil es ihr gelungen ist, sich in Bezug auf die georgische Identität als staatstragend zu inszenieren. Die orthodoxe Weltsicht ist immer noch dominanter Bestandteil des georgischen Nationalismus. Aber der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet im Zuge zahlreicher Skandale und eines für viele Georgier nicht nachvollziehbaren Verhaltens während der Covid-19-Pandemie (vgl. OC Media 2020, Dustin Gilbreath & OC Media 2020).
„Das Vertrauen in die georgische Kirche hat in den letzten Jahren abgenommen. Während im Jahr 2008 noch 75 Prozent der orthodoxen Christen der Kirche voll vertrauten, waren es 2017 nur noch 38 Prozent. Im Jahr 2019 deuten die Daten auf ein ähnliches Bild hin. Obwohl dieser scheinbare Rückgang wahrscheinlich mit den Skandalen zusammenhängt, ist es schwierig, einen kausalen Zusammenhang herzustellen. Zahlreiche Faktoren könnten dazu führen, dass das Vertrauen in die Kirche von einem Wertewandel hin zu weniger Interesse an der Religion abnimmt“.
Dustin Gilbreath & OC Media 2020
Welterbestätten sind politische Räume. Am Beispiel der Bagrati-Kathedrale hat die UNESCO hart interveniert und das Bauwerk von der Welterbeliste genommen. Damit hat die Welterbekommission gegenüber dem georgischen Staat und der georgischen Kirche eine klare Linie gezogen, die bis heute nachwirkt. Kein weiterer Antrag Georgiens wurde mit einem positiven Ausgang bis heute weiterverfolgt. Und in Ushguli in Swanetien deutet sich derzeit das nächste vergleichbare Drama an.
Literaturangaben
Dustin Gilbreath & OC Media (2020): Analysis | Church scandals have hurt trust in the Georgian Orthodox Church. OC Media 3 August 2020. https://oc-media.org/features/analysis-church-scandals-have-hurt-trust-in-the-georgian-orthodox-church/
OC Media (2020). Georgians avoided church over Easter and disapproved of communal spoon, survey finds. OC Media, 23 July 2020. https://oc-media.org/georgians-avoided-church-over-easter-and-disapproved-of-communal-spoon-survey-finds/
Stadelbauer, J. (2018): Schützen oder nutzen? Konflikte über das Bauerbe in Georgien. In: Osteuropa 68 (7), 47–77.
UNESCO (ed.) (1994): World heritage list – Gelati Monastery. https://whc.unesco.org/en/list/710/
UNESCO (ed.) (2010): World Heritage Committee inscribes Bagrati Cathedral and Gelati Monastery (Georgia) on List of World Heritage in Danger. https://whc.unesco.org/en/news/637/
UNESCO (ed.) (2017): Gelati Monastery, Georgia, removed from UNESCO’s List of World Heritage in Danger. https://whc.unesco.org/en/news/1692/