Swanetien (georgisch სვანეთი/Swaneti) ist eine historisch-geographische Region im Norden Georgiens im Großen Kaukasus. Swanetien wird historisch als kulturell geschlossener Raum betrachtet, der über eine besondere Geschichte und Architektur sowie weitere spezifische soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten verfügt. Man unterscheidet zwischen Oberswanetien oder Hochswanetien (georgisch Zemo Swaneti) und Niederswanetien (Kvemo Swaneti).Politisch ist Swanetien innerhalb Georgiens heute auf die Regionen Mingrelien und Oberswanetien und Ratscha-Letschchumi und Niederswanetien aufgeteilt. Die bedeutendste Stadt in Swanetien ist Mestia, die Verwaltungshauptstadt Oberswanetiens. Swanetien ist eines der begehrtesten Reiseziele innerhalb Georgiens und vor allem bekannt für seine weitgehend unberührte Gebirgslandschaft und die besondere Architektur seiner Bergdörfer. Im engeren Sinne versteht man darunter meist die am oberen Lauf des Enguri liegenden Bergdörfer wie Zhabeshi, Adishi, Iprari, Vichnashi, Kala, Ushguli. Nach Einschätzung der UNESCO-Kommission repräsentiert Oberswanetien einen Kulturraum, in dem sich die Architektur mittelalterlichen Ursprungs auf einzigartige Weise mit einer beindruckenden, authentischen Berglandschaft verbindet, welche sich sich dank traditioneller Formen der Landnutzung bis heute erhalten habe.

Diese Einschätzung wird gebunden an weitere, sogenannte authentische Merkmalen traditionellen swanischen Lebens. Das Zusammenspiel aller genannter Merkmale (authentischen Berglandschaft, Architektur der in ihr liegenden Dörfer, bestimmte, für die Region typischer Lebens- und Wirtschaftsweisen) garantiere, laut UNESCO, den Bestand einer nachhaltigen Mensch-Umwelt-Beziehung. Besonders hervorgehoben werden hierbei, bezogen auf die Landwirtschaft, traditionelle Praktiken des Bergbauernlebens und bezogen auf die Architektur, die Beschränkung auf lokales Baumaterial (Steinplatten aus Schieferbruch und Kalksteinbruch) und traditionelle Handwerkstechniken.

Die traditionelle Landwirtschaft in den Dörfern Oberswanetiens

Landwirtschaft mit Ackerbau und Viehzucht sichert in Swanetien als traditionell wichtigste Wirtschaftsform bis heute für den Großteil der Bevölkerung die Grundversorgung. Viehzucht wird generell auf geringem Produktionsniveau betrieben, sie ist jedoch von großer Bedeutung als zusätzliche Einkommensquelle, die über die Subsistenzwirtschaft (Fleisch, Milch und Milchprodukte) hinausreicht.

Wegen der Zersplitterung und Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Flächen in den engen Tälern wären jedoch auch bei Einführung moderner Methoden keine bedeutenden Steigerungen der landwirtschaftlichen Produktivität zu erwarten. Unter den Feldfrüchten ist die Kartoffel seit der Sowjetzeit dominierend; die geringe durchschnittliche Feldgröße und ein Mangel an Mechanisierung setzen allerdings auch hier Grenzen. Dennoch kann das auf die Sowjetzeit zurückgehende Wissen über Produktionssteigerung durch kollektive Produktionsformen als Marktpotential gesehen werden – genossenschaftliche Organisationsformen wurden jedoch bislang nicht von der Bevölkerung Oberswanetiens angenommen.

Der Wald wird genutzt zur Gewinnung von Feuer- und Bauholz. Der Großteil des Holzeinschlags erfolgt illegal, was vor allem darasn liegt, dass die Waldflächen, die während der Sowjetzeit verstaatlicht wurden, auch im neuen Georgien staatlich blieben. Die Familien gehen in Oberswanetien aber in ihrem täglichen Leben in der Regel von den Besitzverhältnissen vor der Kollektivierung aus und verhalten sich so, als gehörte der Wald ihnen. Eine nachhaltige Wandwirtschaft ist erst im Entstehen.

Zum Welterbestatus der Bergdörfer Oberswanetiens

Entgegen der häufig zu lesenden, von touristischen Publikationen v.a. auf Webseiten fleißig verbreiteten fehlerhaften Aussage, dass die gesamte Berglandschaft Swanetiens zum UNESCO-Weltkulturerbe gehöre, ist es allein ein Ortsteil der in Oberswanetien, am Enguri-Oberlauf liegenden Dorfgemeinschaft Ushguli, der als Welterbe ausgezeichnet ist: Der Ortsteil Tschaschaschi (ჩაჟაში, Chazhashi) ist mit einer Fläche von 1,09 ha seit 1996 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, in der Sowjetunion war er bereits seit 1971 als Uschguli-Tschaschaschi-Museum geschützt. Dazu kommen 19,16 ha Pufferzone (1 km Radius um Chazhashi), worin die weiteren Ortsteile mit einzelnen besonderen Gebäuden und die landwirtschaftlich genutzte Landschaft einbezogen sind. (vgl. grundlegend ICOMOS 1996).

Neben den typischen swanetischen Wehrtürmen existieren in Ushguli wie in den anderen Bergdörfern verschiedene religiöse Bauwerke, wie Kirchen aus dem 12. Jahrhundert . Damit verschafft die Region Ober-Swanetien im Norden Georgiens mit dem Ortsteil Tschaschaschi (ჩაჟაში, Chazhashi) Georgien einen der drei für die Touristik-Industrie attraktiven Einträge auf der Welterbeliste. Die anderen Ortsteile Ushgulis mit insgesamt rund 200 Gebäuden mittelalterlichen Ursprungs sind nicht als Gebäudeensembles direkt geschützt und waren es auch nicht in der Sowjetzeit. Dennoch sollten Veränderungen gemäß der Welterbe-Kommission auch dort nur mit staatlicher Genehmigung erfolgen.

Wie nachdrücklich das International Council on Monuments and Sites (ICOMOS) seine Entscheidungsprinzipien vertritt, wird in folgender Passage der Empfehlung, den Welterbestatus entgegen des ursprünglichen Antrags des Georgischen Staates auf Chazhashi zu begrenzen, dabei aber die gesamte Hochgebirgsregion – gewissermaßen als Ansporn – zu erwähnen, deutlich, die für die zukünftige Entwicklung durchaus als Warnung verstanden werden kann: „In the opinion of ICOMOS it would be premature for the entire Reserve to be inscribed, since it is a new creation and its policies are still being formulated. The technical condition of Zhibiani village is, according to the ‘passport’, ‘in a grave condition’, which would seem to disqualify it for inscription until action has been taken to remedy that situation. The Ushguli-Chazhashi Museum-Reserve, on the other hand, is clearly defined and has been in operation for several years.“ (ICOMOS 1996, S. 101)

Der Ortsteil Zhibiani wurde in der Sowjetzeit am stärksten überformt mit Bauelementen, die an eine für die Sowjetunion typische, elegante und großzügige Datschenarchitektur mit vorgebauten, verschlossen Balkonen in georgischem Stil erinnert, von denen aus die in der Regel in einer Reihe liegenden Zimmer erreichbar sind. Mit dem Diktum von ICOMOS (1996) ist diese Bauweise, die als einzige eine adäquate Beherbergung von Besuchern ermöglicht, von jeglichem Schutzstatus ausgeschlossen, mehr noch, sie wird als Gefährdung für die mittelalterliche Architektur und den Gesamteindruck angesehen.

Für alle Bergdörfer Oberswanetiens sind die aus der Sowjetzeit stammenden Bauelemente, die die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung deutlich verbesserten und als einzige eine Unterbringung von Touristen ermöglichen, allerdings ebenfalls typisch, womit sich einmal mehr im Zusammenhang mit Ansprüchen des Denkmalschutzes die Frage stellt, wie mit kulturellem Erbe unter Einbezug der Interessen der Beteiligten umgegangen werden soll: Schützen oder nützen?

Historische Bezüge: Geschichte der Bergdörfer Oberswanetiens in Auswahl

Das Fürstentum Swanetien gliederte sich etwa im 12. Jahrhundert dem georgischen Königreich an in der Zeit dessen sogenannten Goldenen Zeitalters zwischen 11. und 13. Jahrhundert. Nach dem Einbrechen mongolischer Streitkräfte zersplitterte das georgische Königreich zunehmend in viele regionale Herrschaftsgebiete mit einzelnen Feudalherren. Im 15. Jahrhundert entstanden dann das Fürstentum Dadeschkeliani-Swanetien im westlichen Oberswanetien, das Fürstentum Niederswanetien (nach der Fürstenfamilie, die zugleich über Mingrelien und im Mittelalter auch in Gurien herrschte, auch als Dadiani-Swanetien bezeichnet) und das sogenannte Freie Swanetien im östlichen Oberswanetien. Letzteres genoss einen hohen Grad an Autonomie, weil es dort keine so starke Familienlinie gab, die die politischen und ökonomischen Verhältnisse wesentlich bestimmen konnte.

So kann das gesamte Enguri-Tal ab Mestia, genauer ab Latali, in dieser Zeit am besten beschrieben werden als Verbund unabhängiger Dorfgemeinschaften mit jeweils eigener Verwaltung, eigener Rechtsprechung und dem Vermögen, gemeinschaftsbezogene politische Akte umzusetzen (vgl. Voell, Jalabadze, Janiashvili & Kamm 2016, 2014, Voell 2012). Swanetien war im gesamten Mittelalter trotz seiner abgeschiedenen Lage mit den georgischen Reichen verbunden. Allein in Oberswanetien wurden im Mittelalter über 100 georgisch-orthodoxe Kirchen gebaut, die meisten in der Hochzeit der Kirchenbaukunst zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert.

In der Zeit der Sowjetunion wurden diese Bemühungen fortgesetzt, stießen jedoch auf starken Widerstand unter der Bevölkerung, weil das Sowjetsystem überwiegend als Kolonialmacht wahrgenommen wurde (vgl. grundlegend u. a. Köhler 1996).  Besonders im Kaukasus erfolgte die Einführung des sowjetischen Rechtssystems nicht konsequent, da die Gerichte und Strafverfolger schlicht überfordert waren von der Vielzahl der möglichen Fälle. So blieben gleichzeitig immer auch traditionelle Rechtsinstanzen wie Ältestenräte und Mediatorengerichte erhalten. So wurde bei sogenannten Privatangelegenheiten (u. a. Erb- und Heiratsangelegenheiten, Familien- und Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Diebstahl) den Parteien zugestanden, eine außergerichtliche Einigung anzustreben, z. B. über Instanzen traditionellen Rechts. (Janiashvili 2016, 2012)

Als weiteres folgenreiches Ereignis in der Geschichte Swanetiens muss die ökologische und soziale Katastrophe im Winter 1986/87 genannt werden, die durch andauernde, ungewöhnlich starke Schneefälle verursacht wurde und in deren Folge, je nach Quellenlage, 80 bis 100 Menschen in Ober- und Unterswanetien ihr Leben verloren. In Folge dessen wurden ungefähr 16.000 Menschen evakuiert und dauerhaft umgesiedelt in andere Regionen Georgiens, v. a. in Dörfer in Kvemo Kartli, südlich von Tbilisi. (vgl. grundlegend Voell, Jalabadze, Janiashvili & Kamm 2016, 2014, Voell 2012)

Aktuelle Entwicklungen: Tourismus in den Bergdörfern

Vor dem Hintergrund eines reichen kulturräumlichen und ökologischen Erbes wird vor allem im Tourismus als Wander- und Kulturtourismus Entwicklungspotential für Swanetien gesehen. Angezogen auch vom Welterbestatus führt dieser zu einer zumindest sommerlichen Wiederbelebung verfallener Ortschaften und stellt so erst einmal die Grundbedingung für einen nachhaltigen Erhalt der Kulturlandschaft dar. So nahmen die Besucherzahlen laut dem Tourism Center in Mestia von unter 9000 im Jahr 2011 auf über 26000 im Jahr 2014 zu (vgl. u. a. Cappucci & Zarilli 2015). Den größten Zustrom verzeichnet das regionale Verwaltungszentrum Mestia. Von dort aus unternehmen Touristen im Grunde vor allem zwei Touren: Entweder wird mit geländegängigen Fahrzeugen eine Tagestour nach Ushguli, am Ende des Enguri-Tals unternommen und man erkundet sich von dort aus entweder die Ortschaft oder unternimmt eine Wanderung zu Fuß oder auf dem Pferd in Richtung Schchara-Gletscher. Oder man unternimmt eine ca. fünf Tage dauernde Wanderung von Mestia aus nach Ushguli über die Bergdörfer Zhabeshi, Adishi, Iprari, Vichnashi und Kala. Alternative Routen, oft beginnen in Ieli und über Tsvirmi führend, werden zunehmend von Radwanderern befahren.

Die mit dem Tourismus verbundenen Herausforderungen werden in zahlreichen aktuellen Publikationen hervorgehoben. Diese sehen sowohl die Notwendigkeit der Einführung von ökonomisch und sozial nachhaltigen Ansätzen und sie betonen die besondere Gefährdung des architektonischen und sonstigen kulturellen Erbes sowohl durch menschlichen Einfluss als auch eine Gefährdung der baulichen Substanz durch Naturereignisse wie Lawinen- und Murenabgänge oder Erdrutsche hervorheben (Applis 2018, Voll & Mosedal 2015, Tarragüel 2011).

In Folge des Konkurrenzdrucks durch die Organisation der Vermietung über Online-Plattformen sind die Preise für Unterkünfte in Oberswanetien dauerhaft zu niedrig, auch wenn sich die Wanderer und Ausflügler über niedrige Preise freuen dürfen. Vor allem Anbieter von Privatunterkünften erhalten kaum einen ausreichenden Gegenwert für Ihre Investitionen erhalten in Anbetracht von in Georgien sehr hohen Zinsen bei Kleinkrediten. Die zunehmende Zahl von Swanen, die im Sommer aus anderen regionen Georgiens zurückkehren, um am Tourismus partizipieren zu können, erhöht zudem den Wettbewerbsdruck. Außerdem nimmt der von Touristen verursachte Müll stetig zu, was auch dadurch verschärft wird, dass selbst Mestia als Verwaltungshauptstadt Oberswanetiens über kein Klärsystem zur Abwasserreinigung verfügt.

Text: © Stefan Applis (2019)

Bilder: © Stefan Applis (2015, 2018)

Literatur:

Applis, S. (2018). Tourism sustains, and threatens, Georgia’s highland heritage. Tales of an authentic society living at the edge of time fail to account for higher living standards in the Soviet heyday. eurasianet.org. Abrufbar unter: https://eurasianet.org/perspectives-tourism-sustains-and-threatens-georgias-highland-heritage (3.11.2018)

Cappucci, M. & Zarrilli , L. (2015). New trends in mountain and heritage tourism: The case of upper svaneti in the context of georgian tourist sector. Geojournal of Tourism and Geosites 15 (1), 65-78. Abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/282220363_New_trends_in_mountain_and_heritage_tourism_The_case_of_upper_svaneti_in_the_context_of_georgian_tourist_sector (2.5.2019)

ICOMOS (eds.)(1994): World Heritage List: Upper Svaneti. No 709: Advisory body evaluation. Abrufbar unter: https://whc.unesco.org/en/list/709/documents/ (14.4.2019)

Janiashvili, L. (2012). Traditional Law in Sowjet Times. Caucasus Analytical Digest, 42, 5-7. Abrufbar unter: http://www.css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/CAD-42-5-7.pdf (21.10.2018)

Janiashvili, L. (2016): Traditional legal practise in Sovjet times. In: Stephane Voell (ed.). Traditional Law in the Caucasus: Local Legal Practices in the Georgian Lowlands. Marburg, 83-124. Abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/326395935_Traditional_Law_in_the_Caucasus_Local_Legal_Practices_in_the_Georgian_Lowlands (2.5.2019)

Köhler, J. (1999): Parallele und integrierte Rechtsysteme in einer postsowjetischen Peripherie: Swanetien im Hohen Kaukasus. Abrufbar unter: https://www.oei.fu-berlin.de/en/research/cscca/downloads/jk_pub_schulederstrasse.pdf (2.5.2019)

Tarragüel, A. (2011): Developing an approach for analyzing the possible impact of natural hazards on cultural heritage: a case study in the Upper Svaneti region of Georgia. Thesis-Paper. University of Twente. Faculty of Geo-Information Science and Earth Observation, 87-92. Abrufbar unter: https://webapps.itc.utwente.nl/librarywww/papers_2011/msc/gem/tarraguel.pdf (2.5.2019)

UNESCO (ed.) (1996): Convention concerning the protection of the World Cultural and Natural. Heritage. World Heritage Committee. Twentieth Session Merida, Mexico, 2.-7. December 1996. Abrufbar unter:https://whc.unesco.org/archive/1996/whc-96-conf201-21e.pdf (2.5.2019)

Voell, S. (2012). Local Legal Conceptions in Svan Villages in the Lowlands. Caucasus Analytical Digest, 42, 2-4. Abrufbar unter: http://www.css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/CAD-42-2-5.pdf (2.5.2019)

Voell, S., Jalabadze, N., Janiashvili, L. & Kamm, E. (2014). Identity and tradtitional Law Local Legal Conceptions in Svan Villages, Georgia. Anthropological Journal of European Cultures. 23, 2.

Voell, S., Jalabadze,N., Janiashvili, L. & Kamm, E. (2016). Traditional Law as social Practice and cultural Narrative: Introduction. In: Stephane Voell (Ed.). Traditional Law in the Caucasus: Local Legal Practices in the Georgian Lowlands. Curupira: Marburg. Abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/326395935_Traditional_Law_in_the_Caucasus_Local_Legal_Practices_in_the_Georgian_Lowlands (2.5.2019)

Voll, F. & Mosedale, J. (2015). Political-Economic Transition in Georgia and its implications for tourism in Svaneti. Researchgate. Abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/279448620 (2.5.2019)