Ein Blick auf urbane Räume der Migration aus Perspektive einer Kritik der Flächensanierung der 1970er Jahre am Beispiel des Gänsbergviertels in Fürth
Flächensanierung und Städtebaufördergesetz (1971)
In den 1970er Jahren fielen in Westdeutschland in vielen Städten Altstadtviertel einem stadtplanerischen Konzept zum Opfer, das beschönigend als „Flächensanierung“ bezeichnet wurde. Nach dem Ansatz der Instandsetzung von bestehenden Gebäuden mit und ohne Kriegsschäden nach dem 2. Weltkrieg hatte man in den 1960er Jahren zunehmend auf die Errichtung von Neubaukomplexen im Umfeld der Innenstädte gesetzt, wobei die kompletten Verkehrs- und Versorgungsnetze mit eingerichtet werden mussten. So kam der Gedanke auf, dass man durch den Abriss von Altstadtvierteln Teile der Infrastruktur und Versorgungssysteme wie der Kanalisation als Grundlage nutzen konnte, um Kosten zu sparen. Da zudem ein Großteil des Bausektors seit den 1960er Jahren auf die Errichtung neuen Gebäudekomplexe auf freien Flächen ausgerichtet war, u.a. hinsichtlich der Fachkräfteausbildung, die Koordinierung von Zulieferbetreiben für Bauteile und eine industrialisierte Gewerkeaufteilung kam es am 19. Juni 1971 unter der Regierung Willi Brands in Deutschland zum sogenannten Städtebauförderungsgesetz (StBauFG), das vor allem die großen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften bevorzugte, aus deren Perspektive eine Modernisierung von Altbauvierteln meist zu teuer war, weswegen diese eine Flächenkahlschlag und das Errichten von Neubauten bevorzugten. Solche großmaßstäblichen Wohnsiedlungen waren aber mehr von den Forderungen einer industrialisierten Fertigungstechnik und der Anpassung an eine moderne Verkehrsplanung mit Dominanz des Autoverkehrs als von den Wohnbedürfnissen der Anwohner bestimmt. Negative Folgen waren u.a. ein Verlust an urbanen Lebens im Sinne einer reichen, gelebten Stadtkultur, einer hohen bauliche Dichte und einer Verödung der Innenstädte als Folge der Errichtung monofunktionaler Wohnquartiere. Eine breite gesellschaftliche Kritik in den späten 1970er und den 1980er führte zu einer Neu-Auslegung der Städtebauförderung, die im Altbaubereich fortan auch den Erhalt und die Sanierung von einzelnen Gebäuden förderte, während zuvor vorwiegend Gelder für die Flächensanierung und die Errichtung von Neubauten zur Verfügung gestellt worden war.
Kahlschlag des Gänsbergviertels in Fürth im Zuge der Flächensanierung
Historische Strutur des Viertels als Teil der Fürther Innenstadt
Die sich von der Gänseweide ableitende Bezeichnung „Gänsberg“ ist erstmals für das Jahr 1449 vermerkt (vgl. hier und im Folgenden FürthWiki, Gänsberg), die zunächst dörfliche Struktur erweiterte sich über den Gänsberg hinaus seit dem 16. Jahrhundert schrittweise durch die Ansiedelung von Handwerkern und Gewerbetreibenden:
Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u. a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger Dompropst und dem Ansbacher Markgraf gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z. B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder das Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern (FürthWiki, Gänsberg).

Ansicht Fürths von Norden, 1631. Hervorgehoben sind Geleitshaus u. Synagoge – die Anfänge der Bebauung am Gänsberg; Quelle: FürthWiki, Hans Bien; Daniel Meisner; Eberhardt Kieser (Archiv Kamran Salimi)
Eine nachhaltig wachsende und dichte Besiedlung des Gänsbergs mit vorwiegend einfachen Bauten konnte erst im 17. Jahrhundert erfolgten, nachdem die Siedlung Fürth gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges am 8. September 1634 fast vollständig zerstört wurde; erhalten blieben nur wenige Häuser aus Stein, wie z. B. die Michaeliskirche, das Geleitshaus und die Synagoge. Von 1619 bis zu seiner Zerstörung im Jahr 1938 war das Gänsbergviertel mit jüdischer Synagoge und Schulhof das Zentrum des Jüdischen Lebens in Fürth. Die Konkurrenz zu Nürnberg förderte das Wirtschaftsleben in Fürth in Folge der dortigen strengen Auslegung der Zunftordnung, wodurch sowohl jüdischen als auch anderen Handwerkern die Tätigkeit in der Reichsstadt Nürnberg untersagt wurde, so dass diese sich in Fürth ansiedelten. Damit verbunden war eine Verdrängung der großen Bauernhöfe aus dem Siedlungskern an den Rand der Stadt. Über die folgenden Jahrhunderte konnte aber das Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam:
Wohnten um 1700 noch ca. 6.000 Menschen in Fürth, waren es keine 100 Jahre später bereits doppelt so viele. Bis 1900 hatte sich die Bevölkerung innerhalb von nur 200 Jahren fast verzehnfacht. Der Zuzug der Menschen wirkte sich u. a. in der Stadtentwicklung vor allem baulich dadurch aus, dass eine massive Verdichtung der bestehenden Siedlung am Gänsberg vollzogen wurde. In vielen Hinterhöfen entstanden zusätzliche Gebäude, bestehende Gebäude wurden aufgestockt und selbst die Haupthäuser der Eigentümer wurden so umgebaut, dass sie weitere Mieter aufnehmen konnten. Auf diese Art wurden besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert viele Grundstücke in ihrer Bausubstanz verändert, um Raum zu schaffen […] Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse aus dem Jahr 1907 belegt eindrucksvoll, dass um die Jahrhundertwende nach wie vor 35 % aller Fürther Betriebe in Nebenräumen von Wohnungen untergebracht waren, die häufig in den älteren und kleinindustriell durchsetzten Vierteln in den unteren Geschossen existierten. Von 1.930 Wohnungen waren 14 % mit einer gewerblichen Nutzung in den Nebenräumen und Rückgebäuden zu finden, während weitere 41 % der gewerblich genutzten Räume sich in den Obergeschossen befanden. (FürthWiki, Gänsberg)
Die gleichzeitige Industrialisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten somit zu einer steten Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Der Verfall der Fürther Altstadt schritt bereits im späten 19. Jahrhundert voran, wer es sich leisten konnte, zog vom Gänsberg weg in die modernere Stadtteile und bereits um 1930 zog man einen Abriss des Gänsbergviertels in Betracht (vgl. Luftbild des Gänsbergviertels, FürthWiki, Gänsberg 1935).

Da Fürth von dem Bombardierung des 2. Weltkrieges weitestgehend verschont geblieben war, kam es nach 1945 zu einer massiven Zuwanderung geflüchteter Bevölkerung aus den umliegenden Städten und den vormaligen Ostgebierten des Deutschen Reiches:
Bei Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten im vorhandenen Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg) […]. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatte. Bereits im Sommer 1945 war die Einwohnerzahl wieder gleich der der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner […]. [Im] Oktober 1946 erreicht die Stadt knapp die 100.000-Einwohner-Marke. […] Ein Großteil der Zuwanderer fand erst einmal ein Bleibe im völlig überfüllten Gänsbergviertel, ehe neue Wohnsiedlungen fertig gestellt wurden und für eine Entlastung am Wohnungsmarkt sorgten (FürthWiki, Gänsberg).

Bekannteste Ansicht des Gänsberviertels: steil abfallende Bergstraße um 1900 (Stadtarchiv Fürth A 2953, FürthWiki)

Ehemaliger Doktorshof (Archiv Kamran Salimi, FürthWiki)

Drechslerei in der Rednitzstraße (Leonhard Wittman, 1973, FürthWiki)

Waschtag in einem Hinterhof der Markgrafengasse (Haubner, 1900, Archiv Peter Hartmann, FürthWiki)
Nachdem der Zuzug von Geflüchteten Ende der 1940 Jahre abebbte, kam es wegen des steigenden Bedarfs an Arbeitskräften von ortsansässigen Firmen wie AEG, Leistritz, Grundig oder Quelle in den 60er und 70er Jahren in Folge staatlicher Anwerbeabkommen zu einer Zuwanderung von sogenannten Gastarbeitern aus der Türkei, Jugoslawien, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien. Die meist schweren Arbeiten zu Akkordlohn und im Schichtsystem und die damit verbundenen Planungen der Firmen sahen vor, dass die zumeist männlichen Arbeitskräfte „in einer Art Rotationsprinzip mit befristeten Arbeitsverträgen nach einiger Zeit wieder zurück in ihre jeweiligen Heimatländern gehen [sollten].“ (FürthWiki, Gastarbeiter). Allerdings holten viele nach einigen Jahren des Sparens und Lebens in reinen Arbeiterunterkünften ihre Familien nach und suchten dringend Wohnraum, den sie meist nur in den verfallenden Innenstadtvierteln Fürths, z.B. auf dem Gänsberg, fanden. Ein damit verbundenes Ausbeuten der Mietzahlenden ohne eine Sanierung der Gebäude führte zu einem weiteren Verfall der Wohnstrukturen und starken sozialen Konflikten im Altstadtbereich, da eine „Integration“ zur Zugewanderten von Seiten des Staates und der Städte nie geplant gewesen war.
Umsetzung der Flächensanierungspläne in der Fürther Altstadt
Ab 1956 kamen im Fürther Stadtrat Überlegungen zu einer Flächensanierung auf, die zunächst zu einer 13jährigen Bausperre und nach dem Städtbauförderungsgesetz von 1971 (s.o.) zu konketen Plänen einer Flächensanierung in der Fürther Altstadt führten. In Fürth wurden für eine Flächensanierung drei Innenstadtviertel in den Blick genommen, von denen nur das Sanierungsgebiet 1, das sogenannte Gänsbergviertel, ab dem Jahr 1963 kahlgeschlagen wurde (vgl. die vormals eng bebaute Fläche zwischen Königsstraße und Lilienstraße in der unten stehenden Karte, FürthWiki, Gänsberg 1960; engschraffiert ist in der Karte das ehemalige jüdische Zentrum des Viertels mit Synagoge und Schulhof eingezeichnet, das in der Reichskristallnach 1938 zerstört wurde). Die nördlich davon gelegenen Sanierungsgebiete 2 und 3, für die das beauftragte Planungsbüro ebenfalls eine Kahlschlagsanierung als unumgänglich empfahl, blieben nach einem Umdenken angesichts der städtebaulichen Folgen am Beispiel des Gänsbergviertels erhalten (vgl. heutiges Ensemble „Altstadt“).


Stand der Abrissarbeiten um 1973 (Stadtarchiv Fürth 1973, A 1722, FürthWiki)

Aufnahme des Gänsbergs während der Flächensanierung 1973 (Archiv Kamran Salimi, FürthWiki)
Durch die mit der Flächensanierung verbundenen Umsiedelung der überwiegend sozial schwächeren Bevölkerung, zu der seit den 1960er Jahren auch viele sogenannte „Gastarbeiter“-Familien gehörten (s.o.), zerbrachen weite Teile des sozialen Gefüges der gesamten Altstadt: Funktionale Nachbarschaften wurden aufgelöst, Kleingewerbe als integraler Bestandteil des Viertels mussten geschlossen werden, Gastronomiebetriebe gingen in großer Zahl verloren, kleine Läden und Geschäfte waren auch im Umfeld nicht mehr wirtschaftlich, weil die Kundschaft in der über zehnjährigen Bauzeit verloren gegangen war. Ein großer Kritikpunkt war, dass man sich der sozial schwächeren Bevölkerung in der Innenstadt durch Umsiedelung entledigen habe wollen. Da für die Neubesiedelung der neu geschaffenen Wohnraumes am Rande der Stadt aber keine „Gastarbeiter“-Familien vorgesehen waren, siedelten diese in großer Zahl zunächst in die ebenfalls strukturschwachen Viertel der Sanierungsgebiete 2 und 3 um.
Die Fürther Altstadtviertel als urbane Räume der Migration
Die Innenstadt Fürths war, wie oben skizziert, also über Jahrhunderte hinweg eine Ankunftsstadt oder „Arrival City“ innerhalb geplanter und nicht geplanter Migrationsbewegungen und durchweg waren damit auch bauliche Fragen nach der Umnutzung und Erweiterung des Siedlungsgebietes verbunden. Immer wieder kam es auch zu einer Art Ghettobildung, d.h. zu Prozessen der Absonderung religiöser oder ethnischer sozialer Gruppen, teils als geplanter, teils als nicht geplanter Prozess der Stadtverwaltungen. Die Konzentrations von sogenannten „Gastarbeiter“-Familien in der Altstadt Fürths war auch dem Umstand geschuldet, dass diese in den Neubausiedlungen in Stadtvierteln wie der Hardhöhe oder der Schwand keinen bezahlbaren Wohnraum fanden. Bedingt durch die Flächensanierungspläne der Stadt Fürth standen im Gänsbergviertel „viele Wohnungen und Häuser leer – in zum Teil erbärmlichen Verhältnissen. In der Folge wurden diese Wohnungen zum Teil zu Höchstpreisen an die Gastarbeiter vermietet – bzw. die Gastarbeiter nahmen letztentlich aus der Not heraus jede Wohnung gleich zu welchem Preis an, da sie sonst keine Alternativen hatten.“ (FürthWiki, Gastarbeiter). Die überteuerten Mieten führten nun auch unter deb sozial schwachen Altmietern zur Abwanderung, da „die Gastarbeiter plötzlich für den Hauseigentümer deutlich ‚lukrativer‘ waren“ (ebd.). So drohte zwischenzeitlich gar die Flächensanierung zu scheitern, da die „Stadt Fürth – die sich erhofft hatte endlich in der Flächensanierung durch entsprechende Abrisse der Häuser weiter zu kommen, musste hilflos mit ansehen [musste,] wie sich der Gänsberg wieder mit immer mehr Menschen bevölkerte und die geplante Flächensanierung zu scheitern drohte“ (ebd.), so dass sich wegen der Konflikte zwischen den neu Zugewanderten und den älteren Bevölkerungsteilen durch offenen Rassimus und weitere Formen der sozialen Ausgrenzung auch die räumliche Segregation verstärkte.
Ernst-Ludwig Vogel, Pädagoge, Gründungsmitglied des Altstadtvereins St. Michael und Verfasser zahlreicher kritischer kunst- und kulturwissenschaftlicher Schriften zu städtebaulichen Entwicklung der Stadt analysiert und kommentierte die problematischen Prozesse in der Sprache der 1980er Jahre unter der Überschrift „Türken unter uns – Türken unter sich“ folgendermaßen:
Aus vorübergehenden Arbeitskräften waren echte Immigranten geworden. Eine neue Bevölkerungssukzession hatte die alte Regel bestätigt, dass eine Stadt kein statisches Gebilde ist, sondern von ständigen strukturellen, eigendynamischen Veränderungen lebt. […] [Es] beginnt mit dem Eindringen einer Bevölkerungsgruppe in einen Stadtteil, der von einer anderen Bevölkerungsgruppe dominiert und gekennzeichnet wird, und endet mit der dort vor der Invasion ansässigen Populationsgruppe. Wer die abgelaufenen Mechanismen in der Fürther Altstadt, vor allem heute im St. Michaels-Viertel, aus der jüngsten Vergangenheit damit vergleicht, wird dies – zumindest in der Tendenz – bestätigen. Denn Bevölkerungssukzession findet sich vor allem in der labilsten Region einer Stadt, wobei Statushierarchien bestehen – auch noch unter ethnischen Minderheiten und sozialen Randgruppen. So sind Italiener und Jugoslawen unter den in Deutschland vertretenen Gastarbeitergruppen die statushöchsten, Türken aber die statusniedrigsten. […] Deutsche verlassen allmählich und aus Sanierungsgründen ihre bisherigen Wohnungen, Gastarbeiter rücken nach und konzentrieren sich zunächst oft nur in wenigen Hinterhäusern und Höfen, ziehen bald aber auch in die Vorderhäuser und beeinflussen oder beherrschen gar nach kurzer Zeit das Bild ganzer Straßen. […] Auch Sanierung oder Modernisierung mit anschließender kräftiger Mieterhöhung ist kein Allheilmittel: die Slumbildung verschiebt sich nur nach dem ‚St. Florians-Prinzip‘, die Gastarbeiter werden zu ‚Sanierungs-Nomaden‘. Der Wechsel der Fürther Türken vom alten Gänsberg ins St. Michaels-Viertel hat dies gezeigt. Auf dem neuen Gänsberg wohnen dagegen so gut wie keine türkischen Gastarbeiter. Überlegungen und Initiativen zur Integration – viel beschworen und in Sonntagsreden zitiert, im Werktagsleben selten praktiziert -, ohne gleich eine Assimilation daraus werden zu lassen, gibt es in großer Menge. [Stattdessen sollte] über das Beherrschen der deutschen Sprache […] der Gastarbeiter eine besser Ausbildung, mehr Chancengleichheit und damit einen höheren, existenzsichernden Sozialstatus erreichen können. Der Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung würde damit auch erleichtert. Es bedeutet wohl keinen Verlust der gegenseitigen kulturellen Unterschiede, wenn so aus einem Gastarbeiter auf Zeit ein ausländischer Mitbürger, ob auf Zeit oder auf Dauer, geworden ist. (Vogel 1988/2016, 10-12)
Die über viele Jahrzehnte in Deutschland vertretene Position, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei, findet sich im Zitat durchaus im Sprachgebrauch, auch wenn Ernst-Ludwig Vogel eine für die Zeit nicht weit verbreitete positive integrative Perspektive verfolgt und die Missstände klar benennt und anklagt. Heute sucht man viele der hier verwendeten Begriffe wie „Invasion“, „Sukzession“ und Verdrägung“ zu vermeiden, da dieser Sprachgebrauch in der Vergangenheit Konsequenzen für die Ankommenden hatte und auch heute noch hat. Zum einen wurde ihre Bewegungsfreiheit durch Residenzpflichten verschiedenster Art, Zuzugssperren, Arbeits- und Studierverbote, eingeschränkt, des Weiteren wurde ihre Anwesenheit durch die Verweigerung der Anerkennung staatsbürgerlicher Rechte selbst nach Jahrzehnten von offizieller Seite nicht anerkannt. Mit Diskussionen um Obergrenzen und um politische Regelungen (Asylverschärfung), mit familiären Nachzugsverboten, Erklärungen zu sicheren Herkunftsländern, Arbeitsverboten, der Nicht-Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse etc. wurde und wird weiterhin versucht, Zuwanderung nach Deutschland zu verhindern. Das Konzept der Ankunftsstadt („Arrival City“, Dough Sanders) ist stattdessen mit der Idee verbunden, dass Möglichkeiten zum Ankommen eröffnet und nicht verhindert werden, wie dies Vogel in seiner Publikation aus dem Jahr 1984 darlegt.
Text: Stefan Applis (2024)
Titelbild: Luftbild vom Gänsberg nach Abschluss der Abrissarbeiten 1973, Stadtarchiv A 1722
Literatur
Ernst-Ludwig Vogel (1988/2016): Vergessene Stadt – Auf Spurensuche in der Fürther Altstadt. Grafische Werkstätte Graf: Fürth.
FürthWiki: Gastarbeiter in Fürth (27.12.2024)
FürthWiki: Gänsberg (27.12.2024)
Stadt Fürth (Hrsg.) (1984). Unser Gänsberg. Fürth.
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