Auszug aus dem mit dem ITB-Award 2023 ausgezeichneten Reiseführer für Georgien

Swanetien ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Ziel europäischer Bergwanderer und Bergsteiger. Die frühen Reisenden waren mit ethnologisch-geographischen, oft aber auch mit politisch-militärischen Interessen unterwegs, da Kenntnisse über strategisch bedeutsame Räume für ihre Herkunftsländer interessant waren. Für das Deutsche Kaiserreich war es durchaus bedeutsam, dass deutsche Alpinisten 1903 im Rahmen der von Wilhelm Rickmer Rickmers geleiteten Kaukasus-Expedition den Südgipfel des Uschba, der damals als der schwerste Berg der Welt galt, als erste bezwangen. Noch heute ist die Zahl der erfolgreichen Uschba-Besteiger überschaubar. Auf einer Wanderung können wir zumindest seinem Gletscher nahekommen.

Die Dorfgemeinschaft Mazeri und das Gebiet des Uschba erkunden

Die Dorfgemeinschaft Becho besteht aus mehreren Dörfern, in denen man als Wandertourist ruhiger unterkommen kann als in Mestia, weil dieses in der Hochsaison bisweilen stark überlaufen ist. Becho liegt in einem der schönsten Gebiete des Kaukasus, der Gebirgsregion der Gipfel Uschba und Mazeri. Von Becho aus führen mehrere Wanderungen sowohl nach Norden in die Gletschergebiete, als auch nach Osten und Westen in die benachbart liegenden Talschaften. So kann man vom Dorf Bagvdanari aus über den Gul-Pass, vorbei am Gipfel des Gul (2925 m) einerseits über das Tal des Flusses Pushkeri Nesguni erreichen und an Wanderungen in der Dorfgemeinschaft Lenjeri anschließen. Anderseits kann auf einer anstrengenden Wandertour (8–11 Std,. ca. 21 km) über die Hochebene südlich der Koruldi-Seen und das Kreuz von Mestia der Verwaltungssitz Oberswanetiens erreicht werden. Der höchste Punkt dieser Route liegt im Bereich der alpinen Matten auf fast 3000 Metern Höhe. Vom Dorf Tvebischi in Becho gelangt man in Richtung Westen durch dichten Nadelwald auf mäßig steilen Pfaden in die Höhe bis in den Bereich der alpinen Wiesen und steigt dann wieder sanft ab bis in die Dorfgemeinschaft Ezeri (6– 8 Std. ca. 16 km). Auf diesen gut überschaubaren Wegen kann man sich wegen der parallelen Lage der Talschaften Ezeri, Becho Lenjeri und Mestia kaum verlaufen und es lassen sich aus immer wieder neuen Perspektiven Blicke auf die traditionelle Bergbauernwirtschaft der Swanen und die weitgehend unberührte Natur der Kaukasusregion werfen.

Die vorgeschlagene Route beginnt auf etwa 1600 Metern Höhe hinter dem Dorf Mazeri am Abzweig zum Grand Hotel Uschba. Man hat von hier in Richtung Nordosten einen schönen Blick auf den Gipfel des Mazeri. Beginnt die Tour um die Mittagszeit, sollte Wegvariante 1 gewählt werden, bei der es durchgehend linkerhand des Flusses Dolra entlanggeht, wo der Weg über einige Abschnitte immer wieder von Bäumen beschattet ist; hierbei sind mehrere zulaufende Bergbäche zu queren. Wegvariante 2 führt über offene Weiden und Heuwiesen hinweg bis zu einer Holzbrücke über den Dolra, hinter der beide Wegvarianten wieder zusammenkommen.

Lesetipp: Der Norweger Richard Bærug ist Mitinhaber des Grandhotel Uschba. Von seinen Wanderungen durch Swanetien berichtet er in folgenden Büchern: „Europe’s unknown Fairytail-Land“ (Bezug über: http://forlagshusetivestfold.no/europe-s-unknown-fairytale-land) und „Svaneti, Essence of the Caucasus“.

Beiderseits der Holzbrücke steht eine Hütte, an der man während der Hochsaison, Getränke und frisch zubereitete Speisen kaufen kann. Bis dorthin werden dem Wanderer, vor allem auf Wegvariante 2, immer wieder Fahrzeuge begegnen, weil die einfachen Pisten als Wirtschaftswege benutzt werden. Ausflügler werden von den Gastgebern ihrer Unterkunft auch bis zur Holzbrücke gebracht, wodurch einiges an Zeit einsparbar ist, da die komplette Tour zu Fuß in einer Richtung etwa vier bis fünf Stunden in Anspruch nimmt. Nach der Brücke geht es auf einem schmalen Pfad weiter, der auch mit dem Pferd zurückgelegt werden könnte, so dass nur der letzte, schwierige Teil der Route nach der 2. Holzbrücke, steil bergan hin zum Schdugra-Wasserfall zu Fuß zu absolvieren wäre.

Der Fußweg nach den Hütten ist mit gelben Pfeilen markiert. Er führt immer am Fluss entlang und ist insofern nicht zu verfehlen. Allerdings wird man den Dolra nach einiger Zeit nur noch hören, weil man bald steil bergan steigt und das im weiteren Verlauf tief eingeschnitten Tal auf der westlichen Flanke entlangwandert. Hier geht es zunächst durch krüppeligen Fichtenbewuchs und Rhododendrenflächen, dann entlang des sich wieder bergab windenden Pfades durch hochstämmigen Fichtenwald. Der Weg ist durchgehend geschottert und wird von umstürzenden Bäumen freigehalten, weil Waldarbeiter, Jäger und das georgische Militär, das einen Kontrollposten an der 2. Holzbrücke über den Dolra unterhält, den Pfad nutzen; deshalb kann kann es auch zu Passkontrollen kommen, weshalb man die Tour nicht ohne Reisedokument unternehmen sollte.

Von der 2. Holzbrücke aus geht es in das von Osten einfallenden Seitental in den Wald hinein bis zur ersten Weggabelung, die linkerhand hinauf zum Becho-Pass nach Russland (Kabardino-Balkarien) führen würde. Der Weg zum Schdugra-Wasserfall führt durch einen Birkenmischwald hindurch bergan bis auf eine Höhe von ungefähr 2000 Metern, wo der Wald verlassen wird. Man gelangt an einen Felsvorsprung, wo ein möglicher Endpunkt der Wanderung erreicht ist. Von hier aus hat man bereits einen schönen Rundblick sowohl in das Dolra-Tal als auch auf die Gipfel des Uschba. Ist man trittsicher und möchte noch weiter bis an den Platz, von dem die Bergtouren zur Uschba-Besteigung starten, führt der Pfad über alpine Matten an der nördlichen Flanke des Seitentals weiter bergan – den Schdugra-Wasserfall sollte man dabei als Orientierungspunkt immer im Blick behalten. Der weitere Weg zum Gletscher des Uschba ist nicht immer leicht zu finden, da die gelben Markierungen, die ausnahmslos auf Steinen angebracht sind, leicht aus den Augen verloren werden – innerhalb des ersten Anstiegs sind hier 450 Höhenmeter auf einer Länge von einem Kilometer zu überwinden. Der Endpunkt unterhalb des Gletschers ist auf einem Felsblock mit der Aufschrift „Finish“ markiert. Auf diesem findet sich auch ein Metallschild mit einem Gedicht in russischer Sprache – hier werden in der Regel die Basislager für die Uschba-Besteigung errichtet.

Uschba – „Der Schreckliche“: Bereits 1888 wurde der Nordgipfel des Uschba (4690 m) von den Engländern John Garfold Cokklin und Ulrich Almer von Russland her bestiegen. 1903 richtete der deutsche Forschungsreisende und Bergsteiger Wilhelm Rickmer-Rickmers, nachdem er in den Jahren 1984 bis 1898 mehrfach Zentralasien bereist hatte, eine deutsch-schweizerische Kaukasusexpedition aus. Im Rahmen derer wurden mehrere Gipfel durch die beteiligten Alpinisten Adolf Schulze, Robert Helbling Frederico Reichert, Anton Weber, Oskar Schuster und Cenzi von Ficker, eine der Pionierinnen im „Frauen-Bergsport“, erstiegen. Der erste Versuch den bergsteigerisch schweren Südgipfel des Uschba (4737 m) zu besteigen, scheiterte und Cenzi von Ficker und Wilhelm Rickmer-Rickmers mussten zusammen mit den beteiligten swanischen Trägern ihre verletzten Kletterpartner bergen und zum Basislager zurückbringen. Der zweite Versuch gelang und Adolf Schulze bestieg als ersten den Gipfel. Cenzi von Ficker war an dem zweiten Versuch nicht beteiligt, erhielt aber für ihre herausragenden Leistungen am Berg von dem Fürsten Dadeschkeliani, dem damaligen Lehnsherren der Dorfgemeinschaften westlich von Latali den Berg Uschba symbolisch als Geschenk – eine in der Geschichte des Bergsports einmalige Begebenheit, von der sogar eine unterschriebene und gesiegelte Schenkungsurkunde existiert, die im Museum des Alpenvereins in München verwahrt wird. Cenzi von Ficker war im Rahmen der Kaukasusexpedition an zwei weiteren Erstbesteigungen beteiligt. Ein bis dahin namenloser Gipfel wurde nach ihr als Tsentsi-Tau (3860 m) benannt. 1913 leitete Rickmer-Rickmers die erste Deutsch-Österreichische Pamir-Expedition. Im Ersten Weltkrieg diente er dann als Dolmetscher und Berater des Auswärtigen Amtes im Kaukasus. 1928 leitete er mit dem hohen sowjetischen Funktionär Nikolai-Petrowitsch Gorbunow die Deutsch-Sowjetische Alai-Pamir-Expedition, innerhalb derer das bislang unerschlossene Zentrum des Pamir-Gebirges erforscht werden sollte.Lesetipps: Gerhard Schirmer: Cenzi von Ficker – Das Uschba-Mädl. https://www.bergnews.com/service/biografien/uschba.php

Text: Stefan Applis (2021)

Karte: Stefan Applis (2021)

Fotografie: Stefan Applis (2019-2021)