Tuschetien ist in Folge des Klimawandels durch verstärkte Erosion und Erdrutsche nach stärkeren Stürmen und Regenfällen unmittelbar bedroht. In Hochgebirgsregionen wirkt sich der Klimawandel direkt auf die Gletscher und die aus ihnen hervorgehenden Wasserläufe, weiterhin auf die damit verbundene Vegetation aus. Der Unterschied zwischen höchstem und tiefstem Punkt beträgt in Tuschetien fast 3.000 Meter, womit hohe Abflussgeschwindigkeiten der Flüsse verbunden sind, die bei einer höheren Wasserführung zu großen Schäden in den Waldzonen führen werden.
Die folgende Leseprobe ist dem Reiseführer "Tuschetien entdecken. Ein Kultur- und Naturreiseführer für Georgien" von Stefan Applis & Florian Mühlfried entnommen. Das Buch behandelt neben der Architektur, der Weidewirtschaftsform der Transhumanz und der Geschichte differenziert die ökologischen Grundlagen der Hochgebirgsregion, die seit 2022 UNESCO-Biosphärenreservat ist.

Pflanzengemeinschaften in großer Höhe, wie subnivale Pflanzenkomplexe, die viele endemische Arten und Gattungen umfassen, sind vom Aussterben bedroht, da sich die Pflanzengemeinschaften aus niedrigeren Höhenlagen vermutlich nach oben bewegen, was sich auf die bestehenden Pflanzenge-meinschaften auswirken wird.



Aber auch die Tierwelt ist massiv betroffen. Sollten sich die Gletscher weiter zurückziehen, ist damit zum Beispiel der ostkaukasische Steinbock (Dagestan-Tur, Capra cylindricornis) gefährdet, da die Gletscherzonen ein wichtiges Element innerhalb seines Lebensraumes sind. Der Kaukasische Steinbock kommt nur in einem streifenförmigen Areal von 4.500 km2 im nördlichen Kaukasus vor. Im angrenzenden Russland ist seine Jagd durch Ausweisung von Nationalparkgebieten prinzipiell geregelt und überwacht. Es gelten limitierte Abschusszahlen für lokale Jäger und ausländische Sportjäger zu hohen Abschusspreisen von 2.000 bis 3.000 USD pro Exemplar. Dennoch steht der Kaukasische Steinbock bei insgesamt vermuteten 8.000 Exemplaren, von denen vielleicht 1.000 Tiere in Georgien leben, auf der roten Liste der Weltnatur-schutzunion (IUCN) und könnte durch Wilderei in absehbarer Zeit ganz ausgerottet werden. Auch in Georgien ist die Jagd auf den Kaukasischen Steinbock verboten, doch gibt es bislang keine ausgewiesenen Schutz-gebiete, wodurch ein stärkerer Druck auf die Jäger aufgebaut werden würde. Andererseits ist die Steinbockjagd tief in der Gebirgskultur verwurzelt. Es gibt zahlreiche Lieder und Gebete, in denen der Steinbock als mythische Gestalt vorkommt, Knochen der Tiere finden sich in Heiligtümern. Jüngere Vorschläge gehen deshalb in die Richtung, die lokalen Jäger in den Naturschutz einzubinden. Sie verfügen über wertvolles Wissen zu den Lebensbedingungen der Steinbockpopulationen. Mit ihrer Hilfe könnten Futterstellen eingerichtet, Wilderer kontrolliert und Touristen an Be-obachtungsplätze geführt werden. Von der Einrichtung eines Biosphärenreservates in Tuschetien verspricht man sich, dass durch die damit möglichen Naturschutzmaßnahmen und Forschungsunternehmungen Strategien zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der klimaanfälligen Region Tuschetien erprobt und umgesetzt werden können.
Titelbild: Florian Mühlfried (2017)
Text: Stefan Applis & Florian Mühlfried (2024). Tuschetien entdecken. Ein Kultur- und Naturreiseführer für Georgien. Mitteldeutscher Verlag Halle.
Literaturempfehlung:
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Nukleare Sicherheit (2021). Capacity Development für Klimapolitik in Südost- und Osteuropa, im Südkaukasus und Zentralasien. https://www.international-climate-initiative.com/projekt/capacity-development-fuer-klimapolitik-in-suedost-und-osteuropa-im-suedkaukasus-und-zentralasien-17-i-309-nus-g-capacity-development-phase-iii/