Sakine’s Friseure | Selbstständigkeit in der zweiten Generation türkeistämmiger Zuwanderung

„Es war immer mein Traum selbstständig zu sein, seit der Lehrzeit schon. Ich habe diesen Beruf als Lehrling angefangen, ich wollte eigentlich nicht Frisörin werden. Es war ein Vorschlag meines Vaters. Ich wollte immer in die Türkei zurückgehen und dort studieren, nachdem ich mit der Schule fertig war. Das ging leider nicht, weil es 1982 an Schulen und Universitäten starke politische Auseinandersetzungen zwischen rechts- und linksradikalen Studenten gab in der Türkei, deshalb hatten meine Eltern sich Sorgen um mich gemacht und erlaubten mir das nicht – heute bin ich froh darüber.

"Sakine's Friseure", Hirschenstraße 12 in Fürth. Inhaberin: Sakine Tasdemir; Facebook: https://www.facebook.com/SakinesFriseure/?locale=de_DE; Instagram: https://www.instagram.com/sakinesfriseursalon/

Vor allem wollte ich studieren, was genau, wusste ich nicht, aber mich haben die Absolventinnen der Militäruniversität in der Türkei immer fasziniert, diese mächtig, stark und selbstbewusst wirkenden Frauen in ihren Uniformen. Dieses Frauenbild hatte mich angezogen. Das war so ein Traum von mir als junge Frau, das fand ich sehr inspirierend. Da ich die Älteste von vier Geschwistern war, musste ich ja früh selbständig werden und auf die Geschwister aufpassen, vor allem ab dem Zeitpunkt, als meine Mutter angefangen hatte zu arbeiten. Das waren schwierige Zeiten, als wir zuhause dann alles selbständig machen mussten. Meine Mutter konnte ja weder schreiben noch lesen. Irgendwann hat sie sich dann Stift und Block gekauft und gesagt, dass sie nun auch Deutsch lernen müsste, weil sie nicht mehr wollte, dass ein Kind für sie im Laden fragte, was etwas kostete. Egal, wohin wir früher gingen zum Einkaufen, gab es immer eine Türkin, die zu einem Kind gesagt hat: ‚Frag mal, was das kostet‘. Und meine Mutter wollte das nicht und so hat sie wirklich aus eigenen Kraft gelernt, Preise und Begriffe zu lernen und dann auch langsam, langsam Bücher zu lesen. So hat auch sie ihre Möglichkeiten erweitert. Das fand ich auch gut von ihr.

Mein Vater war immer dafür, dass wir studieren oder einen Beruf erlernen, wir waren vier Geschwister und sollten alle eine Ausbildung erhalten – sein eigener Vater hatte ihm das nicht erlaubt; er selbst war in der Türkei als Reisebusfahrer selbständig gewesen. Viele meiner türkischen Freundinnen sind nach ihrem Schulabschluss mit ihren Eltern in die Fabriken gegangen, in denen die Eltern beschäftigt waren und haben keine Ausbildung gemacht. Sie haben dort in den 1980er Jahren zunächst noch viel Geld verdient, etwa 2500.- DM im Monat. Im Vergleich waren meine 170.- DM Lehrgehalt natürlich sehr wenig. Aber mein Vater hat immer gesagt, dass er unser Geld nicht braucht, dass wir unbedingt eine Ausbildung machen sollen, auch als Anreiz dafür, dass wir später gut allein zurecht kommen können. Darauf hat er geachtet, das war ihm wichtig. Viele Freundinnen haben später zu mir gesagt, dass mein Vater das gut gemacht hatte mit uns. Denn als die Fabriken nur noch Leute mit bestimmten Berufsausbildungen suchten, standen sie da ohne Arbeit, obwohl sie ja einen Schulabschluss hatten. Das war ganz schwer für sie.

Ich bin in Erzincan in der Türkei geboren und mit 10 Jahren nach Deutschland gekommen. Mein Vater kam gegen den Willen seines Vaters 1973 alleine hierher, zuerst nach München, dort wurde er der Firma Leistritz in Stadeln zugewiesen, bei der er bis zu seiner Rente arbeitete – heute leben meine Eltern in Izmir in der Türkei.

1977 hat er uns dann nachgeholt. Wir Kinder sind zunächst in türkischsprachige Klassen gekommen und wurden von Lehrern aus der Türkei unterrichtet, wir hatten auch Deutschunterricht, aber nur einige Stunden in der Woche. Ab der 7. Klasse kam dann die Regelung, dass wir viel mehr Deutschunterricht hatten, das fand ich natürlich viel besser. Grundsätzlich fand ich es aber auch gut, Lesen und Schreiben auf Türkisch und auch etwas über türkische Geschichte zu lernen. Deutsch wäre aber wichtiger für uns gewesen; da mir das fehlte, konnte ich es auch nicht aufs Gymnasium schaffen. Als Kinder hatten wir, weil wir in rein türkischen Klassen waren, natürlich nur einen türkischen Freundeskreis, das finde ich im Rückblick schon schlecht, weil wir dadurch viel langsamer lernten. Auch das Fernsehen war natürlich türkisch zuhause, wir schauten türkische Filme usw. Als wir später gemischt wurden, hatten wir natürlich auch deutsche Freunde.

Am wichtigsten aber war meine „deutsche Oma“ für mich, eine Nachbarin, bei der ich viel war, die mir viel geholfen hat, auch mit den Hausaufgaben. Die war auch viel bei uns, hat mit uns türkisch gegessen. Später, als ich dann größer wurde, habe ich bei ihr Backen gelernt und auch deutsche Gerichte gekocht. Und dieses enge Verhältnis ist geblieben. Seitdem sie gestorben ist, gehe ich immer noch zu ihrem Grab.

Am schwersten waren die ersten drei Jahre. Wir wollten unbedingt zurück zu unseren Freunden und Verwandten. Zuhause hatten wir ein schönes Haus mit Garten, eine Oma hatte bei uns gelebt und sich um uns gekümmert. Dann kamen wir hierher in diese kleine dunkle Wohnung. Wir haben am Anfang viel geweint, alle Kinder. Unser Vater sagte dann immer, dass wir schon einmal im Jahr in die Türkei fahren würden. Aber das ging eben erst nach drei Jahren, weil er hier ja von Null anfangen hatte müssen. Im Rückblick war das von meinem Vater aber schon sehr klug, dass er es durchgezogen hat, hier eine neue Existenz aufzubauen.

Es gab in der Zeit, in der ich in Fürth aufgewachsen bin, natürlich auch viele Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Türken. Mein Vater hatte z.B. große Probleme, mit vier Kindern eine Wohnung zu finden, weil viele Hausbesitzer Vorurteile hatten und keine Türken im Haus haben wollten. Um überhaupt einen Wohnsitz zu bekommen, hatte er erst eine Zwei-Zimmer-Wohnung annehmen müssen. Das war mit vier Kindern natürlich eng. Meine deutsche Oma, die wir damals schon kennenlernten, half uns dann, im selben Haus eine größere Wohnung zu bekommen, als eine deutsche Familie auszog. Meine Oma hatte uns dann schon zwei Jahre gekannt und setze sich sehr bei der Hausherrin dafür ein, dass wir die freiwerdenden 4-Zimmer-Wohung bekommen, sie sagte ihr, dass meine Mutter die Wohnung sauber hält, dass die Kinder anständig seien usw. Zu Anfangs hatte meine „deutsche Oma“ auch Vorbehalte, das hat sie auch zugegeben, aber das hatte sich dann ganz schnell geändert, sobald sie mit uns zu tun hatte. Meiner Oma wurde aber aus ihrem Freundeskreis oft vorgeworfen, dass sie mit Ausländern zu tun hatte. Die Leute verstanden wohl auch gar nicht, warum sie das tat. Aber meine Oma hat uns immer verteidigt, sagte Ihnen, sie wüssten nicht, wovon sie sprechen würden. Sie ist sogar so weit gegangen zu sagen, dass wir viel netter seien als ihre Freunde, weil sie so schlecht sprachen über uns, ohne unsere Familie zu kennen. Das hat mich sehr beeindruckt, dass sie so eingetreten ist für uns und sich durchgesetzt hat.

Auch als wir dann deutsche Lehrer hatten, hatten wir viel Glück. Da gab es ganz tolle Lehrer, z.B. der leider bereits verstorbene Herr Schlee, der sich sehr einsetzte für uns Kinder aus der Türkei. Er hatte nicht darauf geschaut, wo man herkam, er hatte darauf geschaut, dass wir alle den „Quali“ bestehen. Das war ein ganz toller Lehrer, das muss ich sagen.  Dadurch hatten wir im Unterricht keine Problem. Im Pausenhof gab es natürlich Ausgrenzung durch deutsche Schüler, die uns beschimpften, das war leider so. Aber sobald man befreundet war, sobald die anderen merkten, dass man hilfsbereit war, freundlich war, das hat sich dann geändert, so dass wir auch mit einige Deutschen befreundet waren.

Das Friseurhandwerk hatte mir schnell großen Spaß gemacht, auch weil mein deutscher Chef keine Vorurteile hatte. Für ihn war wichtig, was ich konnte und ich bin bis zu meiner Meisterprüfung immer mit ihm in Verbindung geblieben und habe weiter von ihm gelernt. Ich blieb also dabei und machte dann irgendwann meinen Meisterbrief. Nach der Meisterprüfung 1992 eröffnete ich dann 1993 den Laden. Und seitdem, seit 31 Jahren bin ich hier (lacht). Damals waren viele Läden leer in Fürth, den leerstehenden Laden hier hatte meine Mutter gesehen, ein halbes Jahr nachdem ich meine Meisterprüfung gemacht hatte. Damals hatten auch viele Dönerläden aufgemacht, viele Obst- und Gemüseläden durch Türken. Ich denke, dass die Leute damals schon genug Ersparnisse hatten, dass sie sich selbständig machen konnten. Zu Anfangs hatte ich in der Fußgängerzone gesucht nach einem Laden, aber da lagen die Mieten damals schon bei 5000.- DM. Überhaupt gingen die Mieten in Fürth enorm hoch nach der Wiedervereinigung und dem Zuzug von Menschen aus der ehemaligen DDR und es war auch schwer für meinen Mann und mich einen Wohnung zu finden. Meine Schwester arbeitet bis vor drei Jahren, als sie nach Wendelstein zog, hier mit mir. Heute arbeite ich hier mit meiner Tochter. Die Familie ist für mich ganz zentral, weil ich immer von meiner Familie unterstützt wurde. Auch mein Mann stand hinter mir, hat hier ganz viel Arbeit in den Laden gesteckt. Meine Schwester war als Vertrauensperson hier, auch wenn wir andere Mitarbeiter hatten, konnten wir uns abwechseln beim In-den-Urlaub-gehen, das war immer super, dass ich sie hatte.

Schlimme Vorurteile gibt es leider überall. Vor allem, wenn man als Mensch angesehen wird, der fremd ist. Es gab also auch schwierige Zeiten. Aber diese schwierigen Zeiten haben vor allem meine Eltern durchgemacht, weil die ja gar kein Deutsch konnten und auch keinen Unterricht haben konnten. Verwandtschaft hatten wir hier nicht, nur Bekanntschaften mit der Zeit.

Leider gibt es diese Vorurteile auch heute noch. Es gab immer wieder ältere Kundinnen, die mich fragten, ob ich einen Führerschein hätte machen dürfen, ob mein Mann mich schlagen würde. Bei vielen bekommt man diese Vorurteile nicht aus dem Kopf. Meine Schwester hatte auch immer wieder mit einigen Kundinnen geschimpft deswegen, aber sie rückten nicht ab von diesen Vorurteilen. Selbst wenn sie zugaben, dass es auch in deutschen Familien schlechte Verhaltensweisen gab, wollten sie mir nicht glauben, dass ich einen Führerschein hatte. Als wir irgendwann nach Stadeln in ein Haus zogen, waren wir, glaube ich, die ersten Türken im ganzen Viertel und alle Augen waren immer auf uns gerichtet. Alles wurde beobachtet, einen Nachbarin wollte z.B. einmal mit zum Flughafen, um zu sehen, ob ich wirklich kein Kopftuch aufsetze, bevor ich ins Flugzeug steige. Ich habe ihr immer wieder zu erklären versucht, dass in unserer Familie niemand Kopftuch trägt, habe ihr Bilder von meiner Familie in der Türkei gezeigt, damit sie sieht, dass da niemand Kopftuch trägt. Ich verstehe nicht, dass diese Vorurteile immer noch in den Köpfen der Leute stecken. Wir hätten fast miteinander gestritten. Ich habe versucht ihr deutlich zu machen, dass jede Familie anders ist, dass man nicht alle in den gleichen Topf stecken darf. Das ist nicht richtig, auch deutsche Familien sind ja ganz verschieden. Schließlich hat sie ihre Meinung geändert, weil sie uns als gastfreundlich und offen erlebt hat. Gastfreundschaft ist ja bei deutschen Familien nicht so selbstverständlich wie bei türkischen. Da müssen sich ja oft auch die Eltern lange anmelden, alles muss immer genau geplant werden, bei uns ist das nicht so. Natürlich rufen meine Eltern auch an, ob ich da bin, aber das Haus ist grundsätzlich immer offen. So etwas kenne ich natürlich auch von deutschen Familien, es ist eben immer anders und man muss die Leute kennenlernen. So aufzuwachsen und immer beobachtet und bewertet zu werden, ist natürlich nicht schön. Man kam früher z.B.  oft als letzter im Laden dran, erst wurden alle Deutschen bedient. Man muss eben immer alles noch besser machen, die Erwartungen sind höher. Und man muss immer auch viel reden, sagen „Das ist falsch, du musst erst einmal die Menschen kennenlernen. Ich habe leider auch lernen müssen, dass es bei vielen Menschen Grenzen gibt, man bekommt die Vorurteile einfach nicht heraus. Fürth erlebe ich, was den Austausch zwischen verschiedenen Nationalitäten angeht, als viel lockerer als Nürnberg. Ich hab das Gefühl, dass man hier gut miteinander umgeht. Einige kommen z.B. deswegen, weil ich einen türkischen Namen habe, weil sie sagen Türken könnten gut Haareschneiben, das empfinde ich als großes Lob. Meine Erfahrung ist aber auch, dass die Menschen im Grunde da bleiben, wo sie sich zugehörig finden. Natürlich passt man sich auch an, und ich lerne auch viel von Kundinnen, die z.B. Italienerinnen oder Griechinnen sind, dazu, z.B. was Freundlichkeit angeht, Respekt oder Essen. Ich finde diese Atmosphäre von ‚Mulitkulti‘ eigentlich schön. Vor allem beim Kochen ist es internationaler, vielfältiger geworden, das gefällt mir.“

Interviewtext: Stefan Applis (2024)

Fotografie: Stefan Applis (2024)