Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem 2024 beim Mitteldeutschen Verlag Halle erscheinenden Reiseführer "Tuschetien entdecken", der in gemeinsamer Autorenschaft des Ethnologen Florian Mühlfried und des Geographen Stefan Applis verfasst wird.

Der Name des Biosphärenreservats „Drei-Alasani-Flüsse“ leitet sich ab von dem Wassereinzugsgebiet, in welchem der Alasani-Fluss und die nördlich der Wasserscheide verlaufenden namensgleichen Flüsse entspringen, der Tuschetis Alasani und der Pirikitis Alasani. Der Alasani selbst entspringt dem südlichen Hauptkamm des Großen Kaukasus und fließt in südlicher Richtung durch das Alasani-Tal von Kachetien nach Südosten. Das Biosphärenreservat hat eine Fläche von 199.944 ha und umfasst die Region Tuschetien in ihren historisch-geographischen Grenzen, das Tieflandgebiet der Gemeinde Achmeta (ohne die Stadt selbst), die Pankisi-Schlucht und die ständigen Wohngebiete der tuschetischen Gemeinde sowie einen Teil der Alawerdi-Auenwälder, das Dorf Alawerdi und einen Teil des Stori-Schlucht, die zur Gemeinde Telawi gehört.


Der Kaukasus-Hotspot der Biodiversität ist einer von 34 Brennpunkten der Biodiversität weltweit – der Region des Biosphärenreservats „Drei-Alasani-Flüsse“ kommt in Bezug auf ihr ökologisches Erbe hierbei eine besondere Bedeutung zu. Der Kaukasus-Hotspot weist die größte biologische Vielfalt aller gemäßigten Waldregionen der Welt auf, darunter mehr als 6.500 Arten von Gefäßpflanzen, von denen mindestens 1.600 (25 %) endemisch sind. Seine Wälder, Hochgebirge, Feuchtgebiete, Steppen und Halbwüsten enthalten mehr als das Doppelte der Pflanzen- und Tiervielfalt, die in den angrenzenden Regionen Europas und Asiens zu finden ist. Das Biosphärenreservat „Drei-Alasani-Flüsse“ ist eine der artenreichsten Regionen Georgiens in Bezug auf die Pflanzen- und Tiervielfalt, insbesondere der nördliche Teil von Tuschetien. DieVegetationsdecke umfasst Auenwälder, Berg- und subalpine Wälder, subalpine Sträucher, Bergwiesen, subalpines und alpines Grasland, subnivale Vegetation und Geröllvegetationen.



In Tuschetien wurden mehr als 1.000 Gefäßpflanzen aus 92 Familien registriert; das sind ein Viertel aller Arten in Georgien und ein Sechstel aller kaukasischen Pflanzen, darunter viele endemische und seltene Arten, z. B. Tuschetischer Eisenhut (Aconitum tusheticum), Kaukasus-Schlüsselblume (Primula luteola) oder Tuschetische Rose (Rosa tushetica). In Tuschetien gibt es eine hohe Zahl an endemischen Arten, das heißt Pflanzen, die nur in Tuschetien vorkommen – etwa 22,5 % aller Pflanzenarten sind endemisch (11 georgische und 230 kaukasische). Elf Pflanzenarten stehen auf der georgischen Roten Liste: die Kaukasische Strauch-Birke (Betula raddeana), die Bergulme (Ulmus glabra), Feldulme (Ulmus minor), Wacholder (Juniperus foetidissima), Kolchischer Buchsbaum (Buxus colchica), Flügelnüsse (Pterocaria pterocarpa), Kaukasische Zelkove (Zelkova carpinifolia), Europäische Eibe (Taxus baccata), Edelkastanie (Castanea sativa), Stieleiche (Quercus pedunculiflora), Echte Walnuss (Juglans regia). Um die 300 Pflanzenarten, die in Tuschetien noch zu finden sind, stehen auf der Internationalen Roten Liste gefährdeter Pflanzen.

Karte: Biosphärenreservat „Drei-Alazani-Flüsse“ (Karte: Stefan Applis 2022, Kartengrundlage mapcarta)
Auch die Fauna des Gebiets ist vielfältig. Auf dem Gebiet des Biosphärenreservats „Drei Alasani-Flüsse“ können etwa 71 Säugetierarten, 182 Vogelarten, 17 Reptilien, sieben Amphibien und 26 Fischarten beobachtet werden. Zu den wichtigsten Säugetierarten gehören der Ostkaukasische Truthahn (Capra cylindricornis), die kaukasische Population der Wildziege (Capra aegagrus), die Gämse (Rupicapra caucasica) und der Rothirsch (Cervus elaphus) sowie mehrere endemische Arten anderer Kleinsäuger. Zu den großen Raubtieren gehören der Braunbär (Ursus arctos), der Grauwolf (Canis lupus) und der Luchs (Lynx lynx).





Die Vögel sind durch zwei endemische Arten vertreten – das Kaukasische Birkhuhn (Tetrao mlokosiewiczi) und die Kaukasische Schnepfe (Tetraogallus caucasicus). Unter den großen Raubvögeln finden sich der der Gänsegeier (Gyps fulvus), der Mönchsgeier (Aegypius monachus), der Bartgeier (Gypaetus barbatus) und der Steinadler (Aquila chrysaetos), welche alle auf der Roten Liste gefährdeter Tiere in Georgien aufgeführt sind. Die Region Tuschetien ist von BirdLife International, einer der wichtigsten internationalen Organisationen für Vogelschutz, als eines der wichtigen Vogelgebiete Georgiens anerkannt.
Im Tiefland wird Landwirtschaft betrieben, d.h. Weinbau, Ackerbau, Viehzucht und Schafzucht sowie Obst- und Gemüseanbau. In den Bergregionen kommen Forstwirtschaft und der Tourismus als weitere Wirtschaftssektoren hinzu, Schaf- und Viehzucht ist hier von besonderer Bedeutung.
Die Unterstützung zur Verbesserung des Lebensunterhalts der lokalen Gemeinschaften ist ebenso wichtig wie die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region. Durch die Förderung traditioneller Arbeitstätigkeiten und die Einführung moderner und nachhaltiger Technologien soll im Biosphärenreservat die wirtschaftliche Entwicklung lokaler Gemeinschaften, Unternehmen und Betriebe in produktions- und dienstleistungsorientierten Sektoren (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Tourismus usw.) unterstützt werden. Innerhalb des Ansatzes der Biosphärenreservat geht es vor allem darum, nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu zertifizieren; hierzu werden auch umfangreiche Bildungsmaßnahmen für notwendig erachtet. Die nomadische Schafzucht ist die wichtigste landwirtschaftliche Aktivität in Tuschetien. Sie basiert auf dem System des Weideflächenwechsels zwischen Sommer- und Winterweiden, das als Transhumanz bezeichnet wird. Die Winterweiden befinden sich im Schiraki-Tal der Gemeinde Dedoplistszqaro und umfassen insgesamt 18.722 ha. Die tuschetischen Almen werden im Sommer aufgesucht. Die Hirten nutzen auf diese Weise jeweils saisonal natürliche Weiden für ihre Schafe – alpine und subalpine Weiden im Sommer (April bis September) sowie steppenklimatisch geprägte Weiden im Winter (November bis März). Dafür werden die Schafe im Herbst auf speziellen, staatlich festgeschriebenen Wegen in das von Tuschetien etwa 200 – 300 km entfernte Schiraki-Gebiet im Biosphärenreservat Dedoplistszqaro geführt; im Frühjahr erfolgt der Viehtrieb in der Gegenrichtung. Angeführt werden die Schafherden von einigen Ziegen, und häufig begleitet werden sie von Pferden und Rindern, die ebenfalls auf den Sommer- und Winterweiden gehalten werden. Die Pferde deinen dabei vor allem als Nutztiere zum Transport, die Rinder der Produktion von Milch und Fleisch.


Karte: Transhumanz-Wanderrouten (Stefan Applis 2023)
Entsprechend verbindet und prägt die Wanderviehhaltung als traditionelle Landnutzung beide Gebiete. Daher kommt nachhaltigen Projekten zum Erhalt der Transhumanzrouten als Verbindungskorridor zwischen beiden Biosphärenreservaten beim Erhalt und der Entwicklung des tuschetischen Kultur- und Naturraums besondere Bedeutung zu.
Text: Stefan Applis (2023)
Fotografie: Florian Mühlfried (2007) & Stefan Applis (2023)